Quelle: Heimatglocken März 1938
Verfasser: Pfarrer Richter
Flurnamen als Geschichtsquellen — ein Stück Dorfkirchenchronik
Die Bestellzeit führt den Landmann aus der Arbeit in Haus und Hof hinaus in die Fluren an sein Tagwerk. Nach der Winterruhe herrscht auf den Feldern wieder ein emsiges Treiben. Das ist jedes Jahr das gleiche Bild. Nur, daß im Laufe der Zeit die Alten abgelöst werden von den Jungen, und hin und wieder auch die Besitzer wechseln. Der Acker aber ist derselbe wie vor alters und sein Name ist ebenfalls geblieben wie einst. Jede Dorfflur ist voller Namen, die dem Kundigen leichtes Zurechtfinden ermöglichen, oft aber wie ein geheimnisvoller Überrest längst vergangener Zeiten in die Gegenwart hineinragen und nicht immer leicht ihre ursprüngliche Bedeutung preisgeben. Wer ihnen den Namen gegeben und wann das geschehen ist, ist in den allerseltensten Fällen mit Gewissheit anzugeben. Allzuweit liegt das zurück und in den späteren Urkunden heißt es dann wohl: „seit unvordenklichen Zeiten“.
Eben darum aber sind sie für die Geschichte eines Dorfes von einer gewissen Bedeutung für jene Zeit, da urkundliche Nachweise noch nicht oder nicht mehr vorhanden sind. Im Folgenden sollen nun einmal einige Rohrborner Flurnamen erzählen, was sie von der Beschaffenheit und der Geschichte dieses Stück Heimat zu sagen haben. Dabei will ich mich, soweit es nötig ist, an den früheren Kantor Hasse als Gewährsmann halten, der von 1918-29 Lehrer in Rohrborn und mit der Geschichte seiner ersten Stelle ziemlich vertraut war. Vor Jahren hatte ich ihn kurz nach seinem Weggang aus Rohrborn gebeten, mir einmal aufzuzeichnen, was er Wissenswertes hätte, besonders auch hinsichtlich der Rohrborner Flurnamen.
Allein schon der Ortsname wird uns viele Flurnamen verständlich erscheinen lassen. Das alte Gemeindesiegel zeigt einen Born, aus dem Schilf-Rohr herauswächst, das alte Kirchensiegel hingegen einen solchen, der von Rohr umstanden ist. In diesen Siegeln ist unzweifelhaft die richtige Deutung das Namens Rohr-born wiedergegeben. Südöstlich am Abhang mehrerer Hügel gelegen, ist Rohrborn von jeher ein wasserreicher Ort gewesen. Das hängt mit seiner Bodenbeschaffenheit zusammen: toniger, lehmiger Lettenboden und daher wasserundurchlässig. Kiesunterlage ist nirgends anzutreffen. Die Niederschläge können also nicht tief in den Boden eindringen. Das Wasser fließt von den Bergen unter der Kulturschicht auf Ton entlang zu Tale, um hier an den verschiedenen Stellen als Quelle zu Tage zu treten. An manchen Stellen staut es sich, so daß verschiedentlich die Äcker, z.B. die Pfarräcker hinter der Kirche drainiert werden mußten. Selbst unter den Häusern treten in nassen Jahren die Quellen auf. „Hungerquellen“ heißt man sie und hat dazu von früher her sicher seinen Grund. In der Nähe des Ortes befinden sich die Sömmerdaer Pumpstationen. Ebenso wird die Dreysesche Wasserleitung mit Rohrborner Wasser gespeist, das sehr gesund und wohlschmeckend, jedenfalls besser als das harte Unstrutwasser ist.
Dieser Wasserreichtum ist sicher auch der Grund der ersten Besiedelung gewesen. Denn das erste, was Menschen, die sich ansiedeln wollen, haben müssen, ist Wasser. Daß Rohrborn seit mindestens 1200 Jahren besiedelt ist, ist durch die umfangreichen Ausgrabungen des Jahres 1932 erwiesen. Damals wurden auf dem Hügel dicht hinter der Kirche 11 Hügelgräber freigelegt, davon 6 mit und 5 ohne Beigaben. Nach dem Urteil des Archäologen Dr. Grimme von der Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle, der damals die Ausgrabungen leitete, stammen die Gräber aus den Jahren um 800. Die Gräber mit Beilagen, Ringen, Münzen, Waffen, insbesondere das mit dem Pferdeskelett, waren nach Meinung des Gelehrten vermutlich Gräber einer slawischen Fürstensippe, wohingegen die ohne Beilagen aus der Zeit Karls des Großen stammen und als christliche Gräber anzusprechen seien. Demnach ist Rohrborn seit ebenso langer Zeit auch schon ein christliches Dorf, was durch seinen alten romanischen Kirchturm, der etwa aus dem 10. bis 12. Jahrhundert stammt, erhärtet wird.
Außer diesen Zeugen längst vergangener Zeiten sind bis zum 30jährigen Kriege keinerlei Urkunden vorhanden, die uns über den Ort Bescheid sagen könnten, und auch nachher noch sind sie sehr spärlich bis zum ersten Kirchenbuch von 1712. Aber die Flurnamen sind da. Mögen auch manche im Laufe der Zeit zuletzt durch die Separation in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verschwunden sein, die anderen geben noch Aufschluß mancherlei Art. Ein großer Teil von ihnen besagt dasselbe, was schon der Name Rohrborn bedeutet. Namen wie „Die Patsche“, In der Rohrwiese, Im Tieftale, Im Eulenbade, Im Loche, In der Hohle, In der Mulde, Auf der Lehmgrube, Am Schleifwege, Die Schafwäsche u. ä. weisen hin auf den Wasserreichtum, bzw. die große Bodenfeuchtigkeit, die stellenweise so groß gewesen sein soll, daß in früheren Zeiten die Saat eingeritten werden mußte.
Der Wasserreichtum ist freilich seit Jahrzehnten zurückgegangens, da die Tongruben und die Wasserleitungen Sömmerdas einen erheblichen Teil des Wassers abziehen. Aber die genannten Flurbezeichnungen machen deutlich, daß es einmal anders war. Ebendahin weisen die Bezeichnungen „Stiege, Steige, Stege“, in ihren mannigfachen Verbindungen wie Orlishäuser Stiege, Am Fußstege, Sprötauer und Rannstedter Stiege. Eine andere Bezeichnung für Stiege sind die mancherlei Raine, die soviel bedeuten wie Gras bewachsene Grenzwege, die über das feuchte Land führen. Wir finden die Flurbezeichnung: Orlishäuser Rain, Rannstedter Rain, Am hohen Rain, Am Biets (Beits?)-rain, Auf dem Eselsraine, u.s.w.
Verständlich, daß in solcher Flur die hochgelegenen Stellen, die Hügel, eine besondere Bedeutung haben. So finden wir eine Flur „Hinter dem Hügel“, im Simsenfleck, was soviel heißt wie plattgedrücktes Fleck, das viereckige Fleck. Ferner: auf dem Weinberg, auf dem Erbsberge, auf dem Keilenberge, auf dem Tieftalsberge, am Lohberge, am Nachthügel, am Käfersberg, Eselsberg am Amtsberge, auf dem Eisensteine. Diese Bezeichnungen sind von einer gewissen kultur- und wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung. Den Weinberg ableiten zu wollen von weinen, ihn also als ein bejammernswertes Stück Land hinzustellen, scheint nicht unbedingt notwendig zu sein. Denn es ist bekannt, daß in früheren Zeiten auch hier Wein angebaut worden ist. Zu Sömmerda und Schallenburg z. B. erhielten die Pfarrer von der Gemeinde einen Festtrunk, der später in eine Geldrente umgewandelt wurde, weil der hierzu verwendete Wein allzu sauer gewesen ist. Auch die Rohrborner Pfarrkasse führt heute noch in Einnahme aus der Kirchenkasse einen geringfügigen Betrag „Festgelder“, worunter vielleicht etwas ähnliches, wie ein „Festtrunk“ ursprünglich zu verstehen war. Die Tatsache, daß Rohrborn immer ein sehr armes Dorf gewesen ist und erst durch den vom Pfarrer Schäfer eingeführten Kleeanbau und Obstbaumanpflanzungen allmählich seine wirtschaftliche Lage verbesserte, steht dem gesagten nicht im Wege.
Der Lohberg aber, fälschlich auch Lochberg genannt, war mit Eichengestrüpp bestanden, das von Zeit zu Zeit abgeschlagen und geschält wurde. Die zerkleinerte Eichenrinde wurde zum Gerben der Tierhäute verwendet: die Lohe. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Lohgerber Brandt in Sömmerda. Der Käferberg, fälschlich wohl auch Käseberg genannt, war wohl eingentlich ein Kieferberg und trug diese Bäume. Die Deutung des Keilenbergs ist nicht bekannt, wohingegen der Erbsberg nicht mit Erbsen sondern mit erben zusammenzubringen sein soll.
Die Flurbezeichnung „über der Waidmühle“ weist in jene Zeit zurück, da gerade die Erfurter Gegend durch den Anbau der Waidpflanze, einer Pflanze mit gelben Blüten, zu großem Wohlstand gelangte. Aus dieser Pflanze wurde der vielbegehrte blaue Farbstoff gewonnen, der später freilich durch Einführung des „Indigo“ wieder völlig verdrängt wurde. Auch in der Rohrborner Flur muß der Waidanbau gelohnt haben, wie die Errichtung einer eigenen Waidmühle erkennen läßt. Ein Mahlstein dieser Waidmühle ist heute noch auf dem Hügel am oberen Dorfausgang neben der im Jahre 1917 gepflanzten Luthereiche zu sehen.
Desgleichen erinnert die Salzstraße, die von Erfurt kommend, über Rohrborn und Wenigensömmern nach Artern zu führt, zur dortigen Saline, an den einst blühenden und ertragreichen Handel mit diesem unentbehrlichen Nahrungsmittel. Daß Rohrborn nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch engste Beziehungen zu Erfurt hatte, daran erinnert noch heute die Flurbezeichnung „In der Mainze“. Sömmerda, Schallenburg und Rohrborn gehörten bis 1802 zu Erfurt, und wie dieses zu Kur-Mainz. Das Erfurter bzw. Kurmainzer Rad befindet sich auch in der Wetterfahne auf dem Kirchturme, dazu die Jahreszahl 1621. Die Schule Rohrborn war bis zur Ablösung in Rentenbankrenten (etwa 1872) dem „Kloster zu Erfurt“ zu Abgaben in Naturalien verpflichtet, wahrscheinlich auch Pfarre und Kirche. Auch gehörten dem Kloster früher 4 Rohrborner Bauernhöfe.
In das Gebiet der Rechtspflege und Verwaltung verweisen Bezeichnungen wie die: Am Amtsberge, Amtswiese, Amtsbaum, Am Galgen, Über dem Kiese. Das letzte kommt nicht von Kies, der ja in der Flur nicht vorkommt, sondern von kiesen, d.h. erkiesen, erwählen. Hier sind vermutlich irgendwelche Wahlen abgehalten worden. Vermutlich geht die Bezeichnung: „Am Gesundbrunnen“ in die selbe Richtung. Gesund ist entstanden aus gisunt, d.h. gesühnt, also auch eine Stätte, wo Gericht gehalten wurde.
Vielleicht noch in die heidnische Vorzeit weisen nach Ansicht des Gewährsmannes der Wachhügel, der nichts zu tun habe mit Wache halten in Kriegszeiten, sondern eine alte Begräbnis- und Opferstätte, kurzum ein hohes heidnisches Heiligtum dargestellt haben mag. Wachen bedeute soviel wie wach-lebendig erhalten. Ebenso sei „Am und auf dem Steinberg“ eine alte heidnische Grabanlage, vielleicht eines Häuptlings, die mit Steinen kreisförmig eingefaßt war. Nach derselben Quelle sollen früher viele große Steine aus der Umgebung Rohrborns weggeschleppt und zu Brückenbauten u.ä. verwendet worden sein. Auch sollen auf alten Karten noch eine ganze Reihe von Hünengräbern verzeichnet gewesen sein. Die eingangs erwähnten Gräberfunde scheinen das zu bestätigen oder doch wahrscheinlich zu machen. --
Wie auch immer im einzelnen die Bezeichnungen gedeutet werden mögen, das eine jedenfalls ist sicher, daß Namen hier nicht sind „Schall und Rauch“, sondern daß sie zum Nachdenken anregen und vergangene Zeiten uns näher bringen können und uns in ein lebendiges Verhältnis bringen zu den Dingen um uns.