Salzmann in Rohrborn

Quelle: "Erinnerungen aus dem Leben Christian Gotthilf Salzmanns" 1884
Verfasser: Johann Wilhelm Ausfeld

Flurnamen als Geschitsquellen Auszug aus den "Erinnerungen aus dem Leben Christian Gotthilf Salzmanns"

[ . . . ] Im Jahre 1768 wurde die Pfarrerstelle in dem erfurtischen Dörfchen Rohrborn erledigt und unser Salzmann trat als einer der Mitbewerber um diese Stelle auf. Ein jeder derselben mußte daselbst eine Probepredigt halten, und die Gemeindemitglieder wählten denjenigen zu ihrem Pfarrer, der ihnen am besten gefallen hatte. Auch Salzmann hielt seine Probepredigt. Beim Herausgehen aus der Kirche wünschte ihm einer seiner Bekannten der zugegen gewesen war und die Gesinnung der Bauern erforscht hatte, schon zu der Stelle Glück; aber — noch war eine Probe zu bestehen, an die er wohl am wenigsten gedacht hatte, und die ihm größere Anstrengung verursachte, als die Predigt selbst. Nach beendetem Gottesdienste wurde er von dem Schulzen des Dorfes zum Mittagsmahl eingeladen. Ein gefüllter Schöpsenmagen wurde aufgetragen, aus dessen Innerem sich beim Aufschneiden ein durchdringender Knoblauchsduft verbeitete. Salzmann, der kein Freund von Zwiebeln und Knoblauch war, schauderte zurück, doch galt es, frisch mitzuspeisen, denn das Zurückschieben des Gerichtes hätte die Beleidigung des Wirts und daher wohl auch den Verlust der Stelle zur Folge gehabt. Es gelang ihm, sich zu überwinden, und nach kurzer Zeit erfolgte seine amtliche Berufung. Daher hielt Salzmann späterhin streng darauf, daß von seinen Kindern und Zöglingen alle auf den Tisch kommenden Speisen gegessen wurden, und ließ keine Entschuldigung dagegen gelten.

7. Salzmann als Pfarrer in Rohrborn
1768 - 1772

        In unseren Zeiten würde man den Platz in dem einsamen, verarmten Dörfchen, den ihm die Vorsehung zu seinem ersten Wirkungskreise angewiesen hatte, da die damit verbundene Einnahme, alles in allem gerechnet, nur 80 Thaler betrug, als eine elende Stelle verachtet haben. Ein Teil dieser Einnahmen bestand sogar in den Beichte-Sechsern, die ihm heimatlose Bettler, welche daselbst zum Abendmahl gingen, nach herkömmlicher Sitte darreichten, und selbst unter den Bauern des Dorfes befanden sich viele, die bittere Not litten. Hier lernte er zuerst das menschliche Elend kennen; er wollte diesem abhelfen und trat seinen neuen Wirkungskreis mit gutem Mute an. Hier, in Rohrborn, lernte er entbehren, sparen, das Einfache lieben, hier blieb er mit allen Geld und Zeit zersplitternden Vergnügungen unbekannt, dagegen wurde er mit der reinsten Quelle der Freude näher vertraut, mit derjenigen, welche aus dem Innern der Menschenbrust quillt und aus der sie umgebenden Natur immer neue Nahrung erhält und nie versiegt.
        Hier, in ländlicher Stille, hatte er Zeit und Veranlassung genug zum eignen Denken, zum Forschen und Streben nach Wahrheit. Hier war es, wo sich seine Talente bildeten, die ihn später zu dem bedeutenden Mann machten und durch welche er unter seinen Zeitgenossen Hervorragendes leistete. Da war keine Bibliothek, deren Bücher ihn vom eigenen Denken hätten abhalten und zum Verfolgen fremder Gedanken verleiten können, keine Gesellschaft, die ihm seine Zeit geraubt hätte, keine Unruhe, die ihm bei seinen stillen Betrachtungen lästig gefallen wäre, nichts, was seine Aufmerksamkeit von wichtigeren Dingen abzog. Er lebte hier ruhig und ungestört sich selbst und seiner Pflicht. So dienten denn die in stiller Abgeschlossenheit in Rohrborn verlebten Jahre dazu, den köstlichen Schatz von Kenntnissen und Erfahrungen, die er sich inSchule, Universität und im Umgang mit Menschen erworben, zu verarbeiten, und er bildete sich nach und nach einen wohl durchdachten Plan für sein weiteres Leben.
        Mit besonderer Vorliebe bestieg er einen Hügel in der Nähe des Dorfes, wenn sein Geist sich mit den bewegenden Fragen der Zeit beschäftigte und Zukunftspläne seine Seele erfüllten. Die pädagogische Bewegung hatte damals die denkenden Geister erfaßt, denn Basedows Schriften: "Vorstellung an Menschenfreunde und vermögende Männer über Schulen, Studien und ihren Einfluß in der öffentlichen Wohlfahrt", und: "Methodenbuch für Väter und Mütter der Familien und Völker" waren erschienen.
        In dem Streben, die Wohlfahrt der Menschheit zu fördern, kam er hier zuerst auf den Gedanken, eine Erziehungsanstalt zu gründen, und entwarf bereits die ersten Grundzüge zu dem geistigen Gebäude, das er in Jahren des reiferen Alters mit so viel Beharrlichkeit und glücklichem Erfolge ins Leben rief.
        Das Dörfchen Rohrborn, der Ort, wo Salzmann seine erste geistliche Wirksamkeit begann, wird zuerst in den Urkunden des vierzehnten Jahrhunderts genannt und war damals Eigentum der Grafen von Beichlingen, die es von dem thüringischen Landgrafen zu Lehen trugen. 1466 kam es durch Kauf an den Rat der Stadt Erfurt, der es dem Amte Sömmerda einverleibte. Im dreißigjährigen Kriege wurde der Ort so gebrandschatzt, daß er nur noch zwölf Einwohner behielt, und nur sehr allmählich erholte sich der Ort von seiner Not und seinem Elend wieder.
        Als Salzmann sein Rohrborn im Jahre 1801 wieder besuchte, fand er die wirtschaftlichen Umstände und den Wohlstand der Einwohner gar sehr zu ihrem Vorteil verändert. Er rechnete dies einem seiner Nachfolger im Pfarramte, Herrn Johann Gottfried Schäfer, zum Verdienst an, der seine Bauern mit dem Kleebau bekannt gemacht, ihren Viehstand dadurch bedeutend verbessert und ihnen Anleitung zum Anpflanzen von Obstbäumen auf günstig gelegenen Gemeindeplätzen gegeben hatte.
        Die Lage des Dorfes wird durch seinen Namen bezeichnet: "an einem mit Rohr bewachsenen Borne gelegen".

8. Salzman verheiratet sich

        Von höchster Wichtigkeit wurde der Aufenthalt in Rohrborn für Salzmann dadurch, daß ihm Gott hier eine treue, thätige, verständige Lebensgefährtin zuführte, ohne deren kräfigen Beistand ihm die Ausfühung seines Werkes wohl schwerlich gelungen sein würde. Sophie Magdalena Schnell, war die älteste Tochter des Pfarrers Schnell, dem sie am 11. Januar 1756 zu Schloß-Vippach, einem nicht weit von Rohrborn entfernten Dorfe, geboren wurde. Hier wuchs sie als ein einfaches, liebes Landmädchen auf. Salzmann hatte sie im Hause ihres Vaters, mit dem er, wie mit den anderen Predigern der Nachbarschaft, im freundlichen Verkehr stand, kennen gelernt, und sie gefiel ihm ihrer Häuslichkeit und ihres frommen Sinnes wegen so wohl, daß er sich um ihre Hand bewarb, die er auch erhielt. Die junge Braut war kaum vierzehn Jahre alt, aber an Körper und Geist ihrem Alter weit voraus. Den Eltern machte es große Freude, ihr teures Kind den Händen eines so allgemein geachteten Mannes zu übergeben; sie nahmen daher keine Rücksicht auf die noch sehr geringe Einnahme des letzteren, wohl wissend, daß der Segen frommer Elternherzen das beste Heiratsgut ist, und so wurde denn am 15. Mai 1770 das auf herzliche Zuneigung und gegenseitige Achtung gegründete Ehebündnis eingesegnet.
        Ja, ihr redlichen, anspruchslosen, für das Wohl der Menschheit rastlos wirkenden, edlen Menschen, ihr waret augenscheinlich von der Vorsehung für einander bestimmt und ausersehen!
        Auch Sophie war durch eine eigene Schickung schon frühzeitig auf ihren künftigen Beruf vorbereitet worden. Mit dem zwölften Jahre bekam sie die Pocken in der heftigsten Weise, so daß sie dem Tode nahe war, und ihr so blühendes, schönes Gesicht voll Flecken und etwas narbig wurde. Währenddem wurde der einzige Sohn den trauernden Eltern durch jene bösartige Krankheit entrissen. Betäubt lag die Arme darnieder und nur langsam kehrten die Kräfte zur Genesung zurück. Der Tod des Brüderchens und das Bewußtsein der eigenen überstandenen Gefahr machten einen tiefen Eindruck auf das zarte Gemüt des Kindes. Kaum so kräftig, daß sie wieder allein fortwanken konnte, trug die Genesene ihre Puppen und all ihr Spielzeug hinweg, und nie kam es ihr wieder in den Sinn, sich mit diesem ihr sonst so werten Zeitvertreibe zu belustigen. Die Mutter bei Führung der Wirtschaft zu unterstützen, den Vater beim Glasschleifen, wofür er eine große Liebhaberei hatte, an die Hand zu gehen, und ihre jüngere Schwester zu beaufsichtigen: dies waren jetzt ihre Hauptbeschäftigungen. Sie selbst hatte sich, trotz ihrer Jugend, eine solche Geschicklickkeit im Schleifen von Brillengläsern für verschieden Augen erworben, daß nach ihres Vaters Tode die durch seine Güte bis dahin mit Brillen versorgen Leute ihre Zuflucht zu ihr nahmen, und sie half, wo sie konnte, ungeachtet ihrer vielen Geschäfte. Ja sie schliff Mikroskoplinsen und Ferngläser zu ihrem Vergnügen.

9. Salzmann wird von einer gefährlichen Krankheit ergriffen

        Fast ein Jahr verstrich dem jungen Paare in ungetrübter Heiterkeit, da aber erkrankte Salzmann. Unvermögend, sich selbst zu helfen, oftmals ohne Besinnung, lag er mehrere Wochen hart darnieder. Ärztlicher Rat war bei der Enfernung des nächsten Städtchens, Sömmerda, nicht sogleich zu erhalten, und an erfahrenem Beistande fehlte es im Dörfchen selbst gänzlich. So lag die Sorge für ihren todkranken Mann der jungen Frau, die ihrer Niederkunft entgegen sah, fast allein ob. Doch die Liebe half tragen. Tag und Nacht wich die Gattin nicht vom Bette des Kranken, vergessend die Sorge für das eigene Leben.
        Ihre braven Eltern und Schwiegereltern suchten zwar ihr Schicksal zu erleichtern, und ihre gute Mutter brachte wohl abwechselnd einen Tag oder eine Nacht in dem Krankenhause zu, um die hartbedrängte Tochter durch ihren Beistand zu unterstützen, allein auf längere Zeit ihr eigenes Hauswesen zu verlassen, war ihr nicht möglich, und so fand die junge Frau schon jetzt Gelegenheit, Beweise jener Kraft und Ausdauer an den Tag zu legen, die man in späteren Jahren an ihr bewunden mußte, wo sie einem Haushalte von sechzig bis achtzig Personen vorzustehen hatte.
        Den Bemühungen des Arztes und der unermüdlichen Sorgfalt der treuen Gattin wich endlich unter Gottes Beistand die heftige Krankheit, und die Kräfte stellten sich wieder ein, aber mit diesen auch neue Sorgen. Die Kasse des Ehepaares war durch die Ausgaben für die schwere Krankheit gänzlich erschöpft. Was war nun zu thun? Die Eltern, die erst bei der Hochzeit ungewöhnliche Ausgaben gehabt hatten, um Unterstützung zu bitten, war dem Zartgefühl der jungen Eheleute zuwider, eben so wenig konnten sie sich entschließen, Schulden zu machen. Mehrere Tage waren ihnen in gedrückter Stimmung verstrichen, da entdeckte eins von ihnen beim Öffnen des in der Stube stehenden Schrankes eine kleine Summe Geldes, die von unbekannter Hand hineingelegt worden war. Thränen der Freude benetzten ihre Augen und sie segneten die feinfühlende Seele, die sich ihrer Not so liebreich angenommen hatte, ohne erst von ihnen darum angesprochen zu werden. Ihre Dankbarkeit konnten sie ihr leider nicht bezeigen, denn nie erfuhren sie, wer der Wohlthäter gewesen war.

10. Ein Söhnchen wird ihm geboren; Salzmann verliert den Vater und auch dieses Kind wieder

        Im Frühjahr 1771 beschenkte Sophie ihren Gatten mit einem Sohne, der nach dem Großvater Salzmann Christian genannt wurde. Die frohe Nachricht von der Geburt des ersten Enkelchens kam diesem frommen Manne auf seinem Sterbebette zu; er wendete seine Blicke dankend zum Himmel und verschied wenige Stunden darauf. Eine Krankheit, zu der erlittene Kränkung den ersten Grund gelegt, raffte ihn in einem Alter von fünfzig und etlichen Jahren dahin. Auf eine erschütternde Weise griff dieser schwere Schlag in die freudig bewegten Gemüter des jungen Paares ein, welche den so früh Verschiedenen innig liebten und ehrten, und dessen Andenken ihnen, wie das seiner frommen Gattin, stets heilig blieb. Aber auch ihr kleiner Liebling begann zu kränkeln und nach wenigen Monaten war er still entschlafen. Grenzenlos war der Schmerz der zärtlichen Mutter, die nur die trostreichen, ruhig teilnehmenden Worte des trauernden Vaters zu beschwichtigen vermochten, der schon damals gewohnt war, alles als Fügung einer höheren Hand zu betrachten und sich bei den ihn treffenden Schicksalen nicht ganz seinen Enpfingungen hinzugeben, sondern vielmehr über den Grund und über Vermeidung des Unglücks nachzudenken.
        So lenkte der schmerzliche Todesfall seine Aufmerksamkeit auf die Behandlung der Kinder in ihren ersten Lebenstagen und enthüllte ihm eine Anzahl Mängel, die man sich damals noch bei der Behandlung derselben zu schulden kommen ließ.
        Die durch das Nachdenken gewonnenen Grundsätze und die Erfahrungen über die körperliche Erziehung kleiner Kinder, welche Salzmann beim Heranwachsen seiner eigenen machte, deren ihm seine Gattin noch vierzehn gebar und die alle körperlich wie geistig gediehen, und von denen nur noch eins vor den Eltern von der Erde schied, veröffentlichte er zu Nutz und Frommen seiner Landsleute in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Der Bote aus Thüringen" und der aus dieser besonders abgedruckten Beschreibung von Sebastian Kluges Leben.

11. Salzmann verliert seine Schwiegereltern und nimmt seine Schwägerin zu sich

        In die letzte Zeit von Salzmanns Aufenthalt in Rohrborn fällt der Tod seiner guten Schwiegereltern. Sie starben kurz nach einander an einer ansteckenden Krankheit, die damals viele Menschen hinwegraffte. Er hatte die thatsächlichen Beweise einer herzlichen Zuneigung und eines schätzbaren Vertrauens erhalten, und so war auch seine Liebe gegen sie unwandelbar und fest begründet. Noch am Abend seines Lebens erhielt er zwei Ölgemälde, welche die Brustbilder jener Heimgegangenen darstellten und die bis dahin in den Händen eines anderen Schwiegersohnes gewesen waren. Der Empfang derselben gewährte ihm ungemein viel Freude, und er ließ sie nebst dem Brustbild seines wackern Vaters in seiner Schlafkammer aufhängen. [ . . . ]


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