Eine seltene Gefäßform der Glockenbecherkultur aus Rohrborn

Quelle: „Ausgrabungen und Funde 18“, 1973, S. 230-234
Verfasserin: Ursula Lappe, Weimar

Auf dem Gelände der nördlich von Rohrborn gelegenen Tongrube (Mbl. Sömmerda N 24,7; O 3,0 cm) kamen neben einem Saurierzahn auch schon urgeschichtliche Funde zutage.[1] Im August 1971 konnte der in Rohrborn ansässige Bodendenkmalpfleger G. Althanß an das Museum für Ur- und Frühgeschichte Weimar melden, daß beim Abschieben der Humusdecke in der Tongrube Hinweise auf Gräber erkennbar würden. Die daraufhin von H.-J. Barthel und D. W. Müller am 6. und 9. August erfolgten Grabungen erbrachten 3 Körperbestattungen, wobei ein als Grabbeigabe erhaltenes Gefäß durch seine nicht alltägliche Form zur Bekanntgabe der Funde Veranlassung gab.[2]

Grab 1/71
Beim Abschieben der dünnen Humusdecke wurde eine Grabgrube von unregelmäßig ovaler Form sichtbar, worin in 0,30 m Tiefe unter Humusoberkante die Bestattung zutage kam. Der N-S-orientierte linke Hocker lag mit dem Oberkörper nach Norden, wobei einige in situ nahe dem Becken liegende Schädelreste darauf schließen lassen, daß der im Aushub gefundene Schädel, des Toten wohl ursprünglich in der Beckengegend lag. Die Deutung dieses Befundes ist unklar. Als einzige Beigabe fand sich hinter dem Rücken der Bestattung ein Schweineknochen.

  1. Skelett eines spätmaturen Mannes.[3]
  2. Rechter Humerus von Sus scrofa f. domestica L., das Distalende zeigt noch keine Verknöcherung der Epiphysenfugenknorpel, das Tier war also weniger als ein Jahr alt (MW 400/71).[4]
Hockergrab mit Keramikschale aus Glockenbecherzeit bei Rohrborn

Hockergrab mit Keramikschale bei Rohrborn
Grab 3/71 (Tafel 34)

Grab 2/71
Die ca. 2 m südlich von Grab 1 freigelegte ovale Grabgrube barg in 0,55 m Tiefe unter Humusoberkante einen S-N-orientierten, nach Osten blickenden rechten Hocker. Die Grabgrube war stellenweise unterschnitten, so daß der Tote förmlich hineingepreßt war und eine starke Hocklage aufwies. Die Arme lagen angewinkelt vor dem Oberkörper, Zähne und Fingerknochen waren infolge von Wühltätigkeit in der Grabgrube verstreut. Beigaben fanden sich nicht.

  1. Skelett einer juvenilen Frau (MW 401/71).

Grab 3/71 (Taf. 34)
3,5 m nördlich von Grab 1 kam durch die Planierraupe eine tiefschwarze, sich vom blauen Ton gut abhebende Grabgrube zum Vorschein, die in 0,60 m Tiefe unter Humusoberkante einen N-S-orientierten, auf der linken Seite liegenden extremen Hocker barg, dessen Gesicht nach Osten wies. Arme und Beine waren eng an den Körper gezogen, wobei die Hände unmittelbar vor dem Gesicht zu liegen kamen und die Fersen fast das Becken berührten. Dicht unter den Füßen stand als einzige Beigabe ein Gefäß auf vier Füßchen, das sicher ehemals eine Speisebeigabe für den Toten barg, da der Erdinhalt des Topfes im unteren Teil einen viel höheren Phosphatgehalt als im oberen aufwies. [5]

  1. Skelett eines spätmaturen Mannes (MW 402/71)
  2. Vierfüßchenschale mit hohem, kugeligem, zur Mündung leicht eingebogenem Leib. Unter dem gerade abschließenden Rand laufen zwei parallele waagerechte Kanneluren. Grau, grob gemagert, etwas geglättet, erg. H 10,8; Mdm 12,8; Dm 13,7 cm (MW 403/71) (Abb. 1).

Auf den ersten Blick ist die kulturelle Einordnung der drei Gräber nicht ohne weiteres möglich. Grab 2 könnte mit seiner S-N-Orientierung als Aunjetitzer Bestattung angesehen werden, um so mehr, als in unmittelbarer Nähe schon eine solche gefunden wurde, deren Beigabe – eine typische Tasse der Hochaunjetitzer Zeit nach G. Neumann [6] – die zeitliche Einordnung des Grabes erlaubte. Genausogut können wir ein Glockenbechergrab vor uns haben, da dort gleichfalls S-N-Orientierung häufig auftritt.[7] Die Gräber 1 und 3 hingegen weisen sich klar als zur Glockenbecherkultur gehörig aus. Die beiden Toten wurden N-S-orientiert und lassen auch durch strenge Seitenlage und die Anordnung der Hände nahe dem Gesicht ihre kulturelle Zugehörigkeit deutlich erkennen. Die Fleischbeigabe im ersten Grab unterstreicht diesen Zeitansatz noch, da sie hinter dem Rücken des Toten niedergelegt wurde, wie es typisch für die Bestattungssitten in der Glockenbecherkultur ist. [8]

Füßchenschale aus Grab bei Rohrborn

Füßchenschale aus Grab 3/71

Das in seinem Gesamtaufbau nicht alltäglich anmutende Gefäß des dritten Grabes behandeln wir absichtlich erst an dieser Stelle, da seine kulturelle Zugehörigkeit bei flüchtiger Betrachtung angezweifelt werden könnte. Seine Lage zu Füßen des Toten ist eine nicht unbekannte für Glockenbechergräber, [9] ebenso wie stets beobachtet wurde, daß die Gefäße standen und nicht lagen. Es handelt sich um eine sehr hoch geratene Form einer unverzierten kugeligen Vierfüßchenschale mit eingebogenem Rand, wie sie schon bei G. Neumann [10] zu den Stammformen der Glockenbecherkultur gezählt wird. Ungewöhnlich an unserem Stück sind die zwei parallelen Randkanneluren. Allerdings ist bei unverzierten Bechern und Henkelkrügen eine waagerechte Betonung des Halses mittels plastischer Halsreifen, Randleisten, Kanneluren und eingeritzter umlaufender Linien in einfacher bis vierfacher Ausführung nicht selten, wohingegen dieses Gefäßdetail bei Aunjetitzer Keramik, in der ja auch Schalen mit vier Füßchen vorkommen, nicht auftritt. G. Neumann [11] arbeitete diesen für unseren Fund so wichtigen Unterschied heraus, wobei er annahm, daß die waagerechten Halsreifen von den Jütländer Bechern übernommen worden sind. F. Schlette [12] stellte bei seiner Einteilung der Glockenbecherkeramik eine unverzierte Becherform mit schmalem Halsring heraus. Beide Autoren halten die waagerechte Halsbetonung für eine späte Erscheinung innerhalb der Glockenbecherkultur, dagegen bemerkt F. Schlette, daß Füßchenschalen bisher noch nicht für die Spätstufe sicher belegt sind [13]. Unser Gefäß mit den Kanneluren als spätes Merkmal wäre dann als Hinweis für die teilweise auch junge Zeitstellung der Füßchenschalen zu beachten. Die so ohne keramische Parallele erschlossene Einordnung des Rohrborner Gefäßes erhält seine Bestätigung durch einige Fuß- bzw. Füßchenschalen mit einfacher Randbetonung [14] und vor allem durch den Grabfund von Müllerdorf, Saalkreis [15]. Dort waren dem in einem Steinkistengrab bestatteten Toten ein gehenkelter Glockenbecher und eine unserem Stück äußerst ähnliche Vierfüßchenschale beigegeben. Letztere besitzt einen sehr hohen Leib mit drei waagerechten Kanneluren unter dem Rand. Der gehenkelte Glockenbecher trägt auf dem oberen Gefäßteil zwei geritzte waagerechte Leiterbänder mit Tannenzweigmuster in unregelmäßigen Abständen. Er vereinigt somit sehr heterogene Elemente in sich, wie Verzierungsbeschränkung auf das Oberteil als Eigenheit des Saalegebietes, Leiterband als typisches Muster der rheinischen Glockenbecher und Tannenzweige als wohl schnurkeramischen Einfluß. [16] Danach kann man das Grab von Müllerdorf der saalisch-böhmischen Mischgruppe nach G. Neumann [17] zuordnen und innerhalb der Glockenbecherkultur relativ spät ansetzen. Außerdem bestätigt es die von F. Schlette für möglich erachtete Gleichzeitigkeit von Füßchenschalen und gehenkelten Glockenbechern. [18]

Wir hätten also in der randbetonten hohen Füßchenschale der späten Glockenbecherkultur einen weiteren Beleg für die Vielgestaltigkeit des Keramikinventars einer spätneolithischen Kultur, einen Beleg der erneut auf die Unzulänglichkeit fester Typeneinteilungen bei handgeformter Tonware aufmerksam macht.

U. Lappe, Museum für Ur- und Frühgeschichte Thüringens, 53 Weimar, Humboldstr. 11.




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